Zur Monats-Zeitschrift Kultur & Gesellschaft schrieb mir Peter Schütt im November 2021 einen möglichen Eintrag für meine Website oder Wikipedia
- Hendrik Bicknäse

- 1. Nov. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Hier ein Artikel zum Kulturbund, den es ja auch in der alten Bundesrepublik Deutschland gegeben hatte. Es gab hier Menschen, die auch in der wunderbar freien BRD mit Verboten (Berufsverbot, Ausbildungsverbot, u.a.m.) nur aufgrund ihrer Meinung traktiert wurden. Darüber wird nicht oder nur ungern gesprochen und solche Gesetze mit entsprechenden Folgen für einige Tausend Menschen hat es eben doch gegeben:
„(…) Zur besten Zeit hatte „Kultur und Gesellschaft“ bis zu 2400 Abonnenten, weit mehr als die rund 700 amtlichen Kulturbundmitglieder, die zu fast zwei Dritteln weiblichen Geschlechts waren. An die 100 Ausgaben wurden in die DDR geliefert, sodass die Zeitschrift in den Universitätsbibliotheken und in einigen Buchhandlungen präsent war. Auch DDR-Autoren kamen zu Wort, etwa Peter Hacks, mit dem André Müller eng befreundet war, Stefan Hermlin, Paul Wiens, Irmtraut Morgner, Christa Wolf, Peter Minetti und die Literaturwisssenschaftler Hans-Joachim Bernhard, Ursula Reinhold und Klaus Schuhmann. Auch in umgekehrter Richtung funktionierte der innerdeutsche Kulturaustausch. In seiner Sammlung „Denkzettel. Politische Lyrik aus der BRD und Westberlin“, erschienen l977 im Leipziger Reclam-Verlag, nimmt Klaus Schuhmann auf Peter Schütts Empfehlung etliche Autoren auf, die sich im BRD-Kulturbund und in „Kultur und Gesellschaft“ einen Namen gemacht haben, unter ihnen Ulla Hahn, die noch in ihrem 2017 erschienenen Erinnerungsband „Wir werden erwartet“ ihren Stolz über ihre erste Veröffentlichung drüben bekundet, Agnes Hüfner, Peter Maiwald und Paul Gerhard Hübsch. Während der Kontroverse um die Biermann-Ausbürgerung bemühte sich die Redaktion, die Standpunkte beider Seiten zu dokumentieren. Peter Schütt, dessen „schwankende Haltung“ vom Parteivorstand heftig kritisiert wurde, hatte auf dem Kulturbundeskongress einen schweren Stand, wurde aber als Sekretär in seinem Amt bestätigt. Ulla Hahn, die sich mit ihrem Lebensgefährten Peter Schütt überworfen hatte und gegen ihn kandidierte, bekam drei Stimmen. Der Bundessekretär hatte aber auch an einer anderen Front zu kämpfen. Das hing mit der ungeklärten Rechtslage in der BRD zusammen. Zwar waren im Zuge des KPD-Verbotes alle „Tarnorganisationen“ der KPD verboten worden, aber es blieb ungeklärt, ob der BRD-Kulturbund dazu gehörte. Das war offenbar von Bundesland zu Bundesland verschieden. Ausgerechnet in Frankfurt wurde einmal ein Kongress verboten und polizeilich aufgelöst, aber der nachfolgende Kongress fand im selben Bundesland im Frankfurter Umland statt, auf Einladung der DKP-Fraktion in der Stadt Mörfelden-Walldorf, die im Stadtrat Fraktionsstatus hatte. Die Versammlung endete mit einer direkten Aktion, mit einer Kundgebung vor dem Geburtshaus von Georg Büchner im benachbarten Goddelau, das vom Abriss bedroht war. Der Verfassungsschutz hat den westdeutschen Kulturbund und seine Zeitschrift die Jahre hindurch kritisch beäugt. Zeugnis dafür ist die 1983 im Osnabrücker Verlag A. Fromm erschienene Dokumentation von Willhelm Mensing „Maulwürfe im Kulturbeet. DKP-Einfluß in Presse, Literatur und Kunst“. Maulwurf Schütt wird darin mit besonderer Sorgfalt beobachtet. Nach der Wende sind sich Mensing und Schütt mehrfach begegnet und haben sich gegenseitig Respekt erwiesen – für ihren Fleiß und Ihre Spürnase.
Für Wilhelm Mensing ist der Verlag Atelier im Bauernhaus in Fischerhude des Kulturbundes liebstes Kind und „Vorzeigeobjekt“, und er bescheinigt seinem Verleger, dem Maler Wolf-Dietmar Stock, ein beträchtliches Geschick, die künstlerischen Traditionen Fischerhudes und Worpswedes fortzusetzen und zu erweitern. Stock tritt tatsächlich in die Fußstapfen von Heinrich Vogeler. Mithilfe seiner Freunde und Genossen reiste er nach Moskau und konnte dort den einzigen Sohn des legendären Malers, Jan Vogeler, der an der Lomonossow-Universität deutsche Philosophie lehrte und über Heidegger promovierte, bewegen, ihm die ererbten Urheberrechte zu übertragen. Dadurch wurde er Teilhaber der Vogeler-Erbengemeinschaft und bekam einen beträchtlichen Einfluss auf das Kulturgeschehen vor Ort. Peter Schütt, der seine Kindheit nicht weit von Worpswede verbracht hatte, wurde seine rechte, besser seine linke Hand. Mit seinem „Mein Niederelbebuch. Ein Heimatbuch von links“ bescherte er dem Verlag einen bemerkenswerten Verkaufserfolg und leitete eine ganze Serie kritischer Beiträge zur Regionalgeschichte ein. Fischerhude und Worpswede entwickelten sich dank der Unterstützung der Bremer Kulturbundgruppe und der Zeitschrift „Kultur und Gesellschaft“ zu einem Biotop der ökologischen Reformbewegung. In der breiten Bürgerinitiative „Keine Bomben aufs Teufelsmoor“ arbeiteten Umwelt- und Friedensaktivisten eng zusammen. Der Grünen Liste Umweltschutz gelang der Sprung in die Bremer Bürgerschaft, und sie wurde damit als erste in ein Landesparlament gewählt. Als Nachfolger von Johann Fladung, dessen Amt lange unbesetzt blieb, wurde der Bremer Literatur- und Kulturwissenschaftler Thomas Metscher gewählt. Er lehrte an der linksliberalen Bremer Reformuniversität und wohnte in Quelkhorn am Rande Worpswedes. Zusammen mit André Müller übernahm er fortan auch die Redaktion von „Kultur und Gesellschaft“ und war dem Atelier im Bauernhaus und seinem Verleger fest verbunden. Zusammen mit seinen Kollegen Barbara Meyer und Wolfgang Beutin gab er im Bauernhausverlag eine viel beachtete Streitschrift gegen die Berufsverbote heraus, der eine ganze Serie von kritischen „Bundesdeutschen Lesebüchern“ folgte. Viele der Beiträger waren auch Mitarbeiter der Zeitschrift des Kulturbundes, unter ihnen die Vorsitzenden der Kulturbundgruppen in Darmstadt, Stuttgart und Bremen, Christiane Piesker, Ulrike Evezard und Gerda Konietzky, die die Worpsweder Ikonen Paula Modersohn-Becker und Martha Vogeler zu ihren Leitbildern erkoren, aber auch ihre männlichen Kollegen Klaus Dede, Otmar Leist, Johann Günter König, Helmut Hornig und Hendrik Bicknäse. Der Letztgenannte verdient eine besondere Hervorhebung. Bicknäse, in Göttingen ansässig und aktiv, ist einer der produktivsten, aber auch eigenwilligsten Autoren im Umkreis des Kulturbundes. Peter Schütt schreibt 1977 das Vorwort zu seinem viel beachteten Lyrikband „Spinnfäden für brechende Köpfe“ und hebt seine Geistesgegenwart und seine Gewitztheit hervor. Während der gute alte Kulturbund in den Achtzigerjahren allmählich dahindämmert, gelingt es Bicknäse, den kulturbündischen Gedanken produktiv weiterzuentwickeln. Er gründet 1986 die „Gesellschaft für Kulturaustausch“, schlägt Brücken nach Italien und noch vor der deutschen Wiedervereinigung nach Polen. Er kuratiert international beachtete Kunstausstellungen, etwa zum Werk von Bertolt Brecht in der Bildenden Kunst der DDR.
Das Ende von „Kultur und Gesellschaft“ ist dagegen eher unrühmlich und spiegelt den Niedergang der dogmatischen Linken in der BRD parallel zum Zerfall der DDR. Peter Schütt, der sich im Bunde mit Jan Vogeler in Moskau für den Reformkurs von Michail Gorbatschow engagierte, fiel in Düsseldorf und in Ostberlin in Ungnade. Die finanzielle Unterstützung für den Kulturbund und seine Zeitschrift wurde schon Ende 1987 eingestellt, und die letzten Hefte von „Kultur und Gesellschaft“ konnten nur noch mit der Hilfe privater Spenden ausgeliefert werden.“





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