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Israel, Palästina und der Friedenspreis 2019

Aktualisiert: 14. Juli



Leserbrief zum „Göttinger Tageblatt“ vom 09. März 2019


Ein ungewöhnliches Schauspiel spielte sich heute vormittag in Göttingen vorm Ritterplan 4 ab. Um die Preisverleihung des Göttinger Friedenspreises 2019 an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.“ zu stören, hatte sich doch eine überraschend grosse Menschengruppe gebildet, die sich mit Empörung und großen Israel-Fahnen schwenkend heute einfanden, um vor der BBS III und in Front der ‚Galerie Alte Feuerwache’, in der geladene Gäste der Preisverleihung beiwohnten, gegen diese Friedens-Preisverleihung lautstark zu demonstrieren.


Als ich mir die Demonstranten ansah, fragte ich mich unwillkürlich, ob all diese aufgeregten Mitbürger wirklich unsere dem Frieden aufgeschlossenen Göttinger sein können? Oder von wem und woher wurden sie geschickt? Wer steht hinter dieser Form der gezielten Unterdrückung von Meinung? Eine offene Gesellschaft, die jedoch nicht zulassen will, dass Kritik an der gegenwärtigen und dabei seit langer Zeit überaus einseitigen Netanjahu-Politik geäußert wird, möchte ich mir nicht noch länger vorstellen.


Wieso Frau Beisiegel als Rektorin der Universität, Herr Köhler als Oberstadtdirektor und der Vorstand der Göttinger Sparkasse überhaupt eine so große Rolle spielen müssen bei der Preisverleihung, will mir gar nicht einleuchten. Warum muss sich die Stiftung Dr. Roland Röhl bei der Verleihung des Friedenspreises an diese Institutionen so eng anlehnen, die bereits in der Vergangenheit als wetterwendisch geortet wurden? Doch nicht wirklich wegen der EUR 2.000, die von der Sparkasse bisher jährlich beigesteuert wurden. Und muss der Rahmen unbedingt elitär in der Aula der Universität ausgerichtet werden, um Zustimmung und Presse-Echo zu erhalten?


Die rasch organisierte Spendensammlung bei Mitbürgern ergab rund EUR 30.000 für den Friedenspreis. Das zeigt exemplarisch wie viele unserer Mitmenschen nicht länger die unwürdige Meinungsunterdrückung zur Israel-Politik hinnehmen wollen und der tabuisierten Meinungsmache überdrüssig sind.


Freimütig Meinung zur Israel-Politik zu äußern, darf nicht sanktioniert werden. Offenheit dient vor allem dem Frieden in Nahost. Offenheit zu diesem schwierigen Thema ist gerade in Deutschland erforderlich, wird hierzulande doch jegliche Israel-Kritik rasch mit Antisemitismus gleichgesetzt. Die altbackene Art von Todschlagargument nagt an unserer Demokratie. Tabus schaden unseren Demokratien in beiden Ländern: in Deutschland ebenso wie in Israel!


Wir müssen uns nicht zu Erfüllungsgehilfen der Netanjahu-Politik machen. Wie sehr unsere Gesellschaft mit Tabus und offizieller Correctness bereits eingeengt wurde, ist nicht zuletzt den Drahtziehern zu verdanken, welche als Lobbyisten der gegenwärtigen Regierung in Israel nicht nur in Deutschland auftreten. Es wäre wohl der größte Schaden, den wir den friedlichen Menschen in Israel zufügten, wenn wir die Hand zur Unterdrückung von Meinungsfreiheit reichen und eine gerechte Friedenspolitik mit dem Ziel der Zwei-Staaten-Lösung verhindern helfen oder diese aufgeben würden. Wer möchte heute noch ernsthaft daran zweifeln, dass mit der Siedlungspolitik in Israel eine solche Lösung von der derzeitigen Regierung längst ad acta gelegt wurde?



Hendrik Bicknäse

Göttinger Schriftsteller

09.03.2019

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